A oder nicht A, das ist hier die Frage… (Archiv)

Andre Gebien
Archiv
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Heute möchte ich euch eine interessante Aktion aus den Kreisen des ernsten Reenactments vorstellen:

Die Initiative gegen den Steckstuhl (Link geht leider nicht mehr... nach 12 Jahren ;) )

Worum geht es?
Jeder kennt die praktischen und auch für holzhandwerkliche Layen leicht anzufertigen Steckstühle.
Fast in jedem Lager sind sie anzutreffen. Sie sind oft verziert mit teylweise sehr aufwendigen Schnitzereien und sehen für den interessierten Besucher ziemlich a(uthentisch) aus. Sind sie aber nicht. Außer das Lager ist eine Darstellung früher afrikanischer Kulturen. Denn aus Afrika kommt der Vater aller Steckstühle, Funde im europäischen Raum sind schlichtweg nicht vorhanden. Nachgewiesen sind „nur“ Sprossenstühle, wie der Lund-Stuhl (sogar geleimt!) oder einfache Schemel.

Das resultiert natürlich in einem Dilemma: Die Vertreter des ernsten Reenactments sehen (zu Recht) keine Beweise, also hat es diese Stühle auch nicht in Europa gegeben. Ihre Gegner argumentieren damit, dass diese Stuhlart so einfach herzustellen ist, so dass es unwahrscheinlich ist, dass niemand auf diese Idee gekommen sein soll. Man hat ja auch keine Gegenbeweise. So zieht sich diese Diskussion, sich selber in den Schwanz beissend, seit langer Zeit durch fast alle Foren. Ja, es gab sogar rituelle Steckstuhlverbrennungen…

Maic Gronych, der Initiator der Initiative gegen den Steckstuhl, bittet nun „… Steckstühle im Lager nur dann zu benutzen, wenn kein Publikumsverkehr ist“. Von Verbrennungen „und damit die Vernichtung von Material“ (Sehr schön formuliert) hält er übrigens auch nichts. Sonst würde ich seine (auch anderweitig sehr interessante) Seite hier sicherlich nicht erwähnen.

Mein Senf dazu: Es ist Jedem selbst überlassen, wie ernst er sein Hobby (und das ist es ja zu 99,99%) nimmt.
Wer gegen Steckstühle ist, sollte der Authentizität halber auch folgende Regeln einhalten:

  • Mindestens zwei Wochen vor jedem Marktauftritt weder duschen, baden, Haare färben noch Zähne putzen.
  • Vor dem Markt alle Plomben, Nägel, Herzschrittmacher und sonstiges unheiliges Teufelswerk entfernen (lassen).
  • Während des Marktes unter gar keinen Umständen die bereitgestellten Dixies oder Duschen benutzen.
  • Tampons, Binden oder Kondome dürfen nur aus eigener Herstellung stammen.
  • Sein Fleisch selber auf dem Markt jagen (Laufen genug Hunde rum).
  • Unter freiem Himmel schlafen. Zelte waren damals unbezahlbar für den gemeinen Mann.
  • Linnen? Im Allgemeinen zu teuer s.o. Schlecht gegerbte Felle tun es auch im Winter (Laufen genug Hunde rum).
  • Pestopfer sind unverzüglich und ohne Nachfrage zu entleiben und zu verbrennen.
  • Jede Frouw hat ihrem Gatten widerspruchslos zu gehorchen.

Zugebenermaßen ziemlich plakativ. Und nicht wirklich ernst gemeint.

Bekanntermaßen haben die typisch deutschen Mittelaltermärkte nicht wirklich was mit dem „richtigen“ Mittelalter zu tun. Es geht um die Atmosphäre, den Met, den Geruch von Lagerfeuer und Weihrauch, das Gefühl des „Abschaltens“ und der Zusammengehörigkeit. Gemischt mit mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen, einen kleinen Teil des Mittelalters dem geneigten Besucher darzubringen. Sprich: Die Märkte sind ein Event, eine Show, Unterhaltung. Wo zum Schluss (Wenn man ganz viel Pech hat…) auch noch der örtliche Schützenverein dem Tamino paukenderweise das Wort abschneidet. Wäre es anders, wären die Veranstaltungen zwar authentischer… aber ziemlich leer.

Handybenutzende Marktweiber, der OBI-Einweggrill, leidlich versteckt hinter der Sperrholztruhe,  bunte Plastikplanen unter den Zelten und farbenfrohes „Ritter“spielzeug aus Kunststoff in den Marketendereyen. Alles hat seine Grenzen und sowas stört mich persönlich auch, viel mehr als Steckstühle aus Holz.

Die ausgewogene Mischung zwischen Spektakel und „authentischer“ Darbietung macht einen guten Mittelaltermarkt aus. Das Eine kann ohne dem Anderen nicht seyn tun. Und ich will auf keinen Fall eine Institution wie die „English Heritage“, welche in Britannien dafür sorgt, dass alle Veranstaltungen „authentisch“ ablaufen. Und diese Veranstaltungen auch gleichzeitig noch vermarktet…

Brauchen wir sowas in Deutschland? Am Besten noch gesetzlich geregelt? Oder reicht unser gesunder Menschenverstand und gegenseitige(!) Akzeptanz? Trotz wahrscheinlich vieler anderslautender Meinungen denke ich: Ja!

Vive et sine vivere!

Update 22.04.2010:

Tribur hat in seinem Blog „Geschichte und so Zeugs“ den Steckstuhl nochmal als afrikanischen Gebärstuhl identifiziert:
„Mein ambivalentes Verhältnis zu Mittelaltermärkten“ (Der Link geht noch... nach 12 Jahren ;) )
Sehr lustiger Beitrag übrigens, in dem man sich leicht wiedererkennen kann. Schwupps in den Blogroll

Kommentare:

Stephan:
Februar 26th, 2010 @ 15:04

Persönlich lehne ich den Steckstuhl für meine Person, wenngleich ich auch kein problem damit habe wenn mein „Lager-Kollege“ einen solchen nutzen würde.
Ich find‘ eine solche Nutzung auch ganz in Ordnung, wenn man die Besucher über solche Irrtümer aufklären kann. Viel schlimmer finde ich die vielen Pseudo-„A“-Anhänger die Halb- oder meist nur Viertel-Wissen oder Nicht-Wissen unter’s Publikum bringen.

Isidorus:
August 18th, 2010 @ 09:51

Ach ja, der Steckstuhl, das Kennzeichen für jeden Markt und es sollen auch in einigen Museen welche herumstehen… tatsächlich! Er fällt ins Auge.
Doch Maic hat recht, er muss nicht sein! Es gibt vielfältige Alternativen: Grobe Bänke, Scherenstühle, Pfostenstühle usw. Die Literatur ist voll davon. Recherchieren und bauen macht Spass. Für mich ist das ein Hobby und ich mache es so gut, wie ich kann. Da ist kein Platz für Steckstühle, weder im Auto, noch im Lager. Es gibt Praktischeres, es gibt Schöneres und es gibt Sachen, für die es Nachweise gibt. Drei Gründe gegen den Steckstuhl.

steckt lieber andere Sachen zusammen, der Isí

ute j.k. bemsel:
Mai 7th, 2017 @ 18:03

Ach ja, die “Echtheit“!!!
Ich bin im Indianer/Western-Hobby, und da gibt es auch so ein paar 1000%tige, so richtige Spaßverderber…
…da muß jede Glasperle die richtige haben…
Aber mal ehrlich; das Hobby soll ja auch Spaß machen, und die wirkliche Authentizität läßt sich nie auch nur annäherd erreichen, weil schon das deutsche Recht das gar nicht zuläßt:
-Jagdrecht:sich sein Reh so einfach selbst zu schießen wäre Wilderei
-Betäubungsmittel:Wo kriegt man heut so einfach Laudanum her…
-Waffenrecht:mit geladenem Gewehr einzukaufen kommt nicht mehr so wirklich gut…
Jetzt auch noch “Trapperstühle“(so heißen die bei uns!)zu reglementieren…AUTSCH!
GRÜSSE an ALLE Hobbyisten
Euer GRASHÜPFER

B-Papst weil Besser:
Juli 14th, 2017 @ 18:27

Mindestens zwei Wochen vor jedem Marktauftritt weder duschen, baden, Haare färben noch Zähne putzen.

BLÖDSINN: Hygiene würde fast genau so betrieben wie heute… Erst im Barrock wurde Hygiene verteufelt.

Während des Marktes unter gar keinen Umständen die bereitgestellten Dixies oder Duschen benutzen.

BLÖDSINN: Badehäuser? Es gab ebenso Donnerbalken, Aborts und ebenso Öffentliche Toiletten.

Sein Fleisch selber auf dem Markt jagen (Laufen genug Hunde rum).

BLÖDSINN: Jagd war dem Adel vorbehalten! Eigenes Vieh wurde gehalten ebenso gab es Metzger.

Linnen? Im Allgemeinen zu teuer s.o. Schlecht gegerbte Felle tun es auch im Winter (Laufen genug Hunde rum).

BLÖDSINN: Leinen war und ist Unterbekleidung, Oberkleidung Wolle.

Pestopfer sind unverzüglich und ohne Nachfrage zu entleiben und zu verbrennen.

BLÖDSINN: Die Pest wüttete nicht dauerhaft überall.

Jede Frouw hat ihrem Gatten widerspruchslos zu gehorchen.

BLÖDSINN: Darum trug auch dir Frau den Wohnungsschlüssel am Gürtel

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